Illum Sphere – Glass

Unsere Generation ist geprägt von Einfüssen aus der elektronischen Musikszene und kein Wochenende vergeht, ohne dass ein DJ mit der Handhabung von komplexen Programmen eine unmittelbare Menschenmenge dazu animiert, unentwegt zu tanzen und die alltäglichen Sorgen und den Stress hinter sich zu lassen, um in repetitive Melodien zu flüchten und sich vollends zu verlieren. Der Londoner Ryan Hunn, der als DJ und Produzent Illum Sphere genau dieses Ziel verfolgt und bereits Erfahrung als Live-Performer auf dem Dekmantel, einem der populärsten Technofestivals Europas sammelte, kehrt nun mit seinem zweiten Studioalbum zurück. Am 04.11.2016 unter Ninja Tune veröffentlicht, schlägt sich das 9-Track-Album Glass in einer mechanischen Tiefe nieder, die von repetitiven Loops zehrt und irgendwo zwischen pulsierenden Extremen und sphärischen Einschüben kupfert.

Wirft man einen kurzen Blick auf seine Diskographie, stellt man fest, dass Illum Sphere 2010 mit seiner EP Long Live The Plan noch mit turbulenten Basslines und HipHop-Samples in experimentellen Loops im Stil von Flying Lotus auf sich aufmerksam machte. Seine Tracks waren sehr progressiv und energetisch geladen und mit regelmäßigen Drops versehen, die eine antreibende Dynamik erzeugten.

Ryan Henn alias Illum Sphere. Photo: Vivek Vadoliya.
Ryan Henn alias Illum Sphere. Photo: Vivek Vadoliya.

2014 folgte sein Debüt mit Ghosts Of Then And Now, bei dem erstmals soulige Vocals in den elektronischen Klangstrukturen verwoben und in Dub- bis Downtempo eingebunden wurden. Drum’n’Bass, Glitch und Footwork waren ebenso formal für die Konzeption seines Albums, sodass sich hier mitunter sehr tanzbare Rhythmen und düstere Akkorde á la Burial entwickelten. Sowohl Geschwindigkeit, als auch Beats per Minute erschienen charakteristisch für die Undergroundszene von UK. Mit Glass ergründet Ryan Hunn neue Pfade mit kraftvolleren Elementen, die in fester Mechanik gipfeln und klarer strukturiert auftreten. Keine Schnörkel und spontan einschlagende Beats, sondern systematische Überlagerungen von Loop, Rhythmus und Textur, die zu einem technoideren Sound verschmelzen und sich in repetitiven Melodien äußern. Minimalistischere Klangelemente verbinden sich zu einem treibenden Fluss. Die Basslines erscheinen unaufgeregter und ruhiger produziert und entwickeln sich zu einem tanzbaren Gefälle, das den Hörer wie ein Vakuum einschließt.

Den sanften Beginn der klanglichen Reise liefert ,,The Journey“, der mit geloopten Trance-Elementen als Grundlage arbeitet, die von zurückgenommenen verhallten Vocals begleitet werden, bis sie mit einem subtilen Hauch Cold Wave dahinschwinden. Wenn die Nacht einbricht und man soeben seinen letzten Funken Ehre im Bier ertränkt hat, wird es Zeit sich auf die Tanzfläche zu begeben und ,,Fall Into Water“ zu widmen. Einem Track, der nicht nur melodisch, sondern auch rhythmisch in Ekstase treibt und durch regelmäßige elektronische Basslines mit düsterem Flair besticht, wie sie vielleicht von Produzenten wie Recondite oder Efdemin im Gedächtnis blieben. Elektronische Tanzmusik, die gedanklich so sehr fokussiert, dass sie bei voller Lautstärke in völliger Hinwendung und Eskapismus kulminiert.

Der Einfluss von New Wave gestaltet ebenso den Aufbau von ,,Wounded“, der Keyboard-Akkorde mit elektronischen Elementen kreuzt, die durch wiederholte Melodien und mechanisch-futuristische Sounds vorangetrieben werden und gleichermaßen ihre volle Bandbreite in einer nächtlichen Venue entfalten. Mit ,,Oracle“ bietet sich eine sehr ruhige, atmosphärische Abwechslung, die an Geschwindigkeit verliert und sich somit als Zwischentrack in das Gesamtkonzept einfügt. ,,Fuel The Fire“ generiert wiederum einen technoiden Verlauf, der von Synthesizer-Variationen in ein futuristisches Licht gehüllt wird. Der Track arbeitet mit experimentelleren Elementen, die permanent gelooped auftreten und von Drums und Perkussion begleitet werden. Schlussendlich befördert ,,Paradise“, der letzte Track des Albums exorbitant in astronomische Sphären, während er in anmutenden Melodien dahinschwelgt. Besonders markant tritt der gedrungene Reverb auf, der die Vorstellung einer planetarischen Umlaufbahn in Bewegung skizziert. Eine Hervorhebung als persönliches Statement von Ryan Hunn, das sich in seiner Länge von knapp 9 Minuten im Album hervorhebt, gebührt der ersten Auskopplung ,,Thousand Yard Stare“. Sie wandelt stetig in sich wiederholenden Strukturen von Drums, Hi-Hats und einer dumpfen Bassline, die ab der Hälfte des Tracks Unterstützung durch seichte Pianoakkorde erhält, um wieder in elektronischen Passagen zu verlaufen. Hall und Geschwindigkeitszunahme treten in ihrer Steigerungsphase hervor, doch lassen keinen intensiven Umschwung zu, sodass er lediglich als elektronische Hymne ausklingt.

Mit Glass kreirte Illum Sphere ein kompositorisch treffendes Album, das durch prägnante, sphärische Elemente und repetitive Takte in elektronischer Manier charakterisiert wird. Die dumpf-verhallten Sounds, die teilweise Einflüsse von Cold Wave beinhalten und sich mit Techno verbinden, heben es von seinen hektischen bis aufgeregten Vorgängern ab, sodass hier ein ruhiges, in sich geschlossenes Konzept zum Tragen kommt. Nicht unbedingt geeignet, um als antriebsgeladenes Techno-Album mit Tanzcharakter zu fungieren, jedoch förderlich, um abzudriften und sich den imaginären Exkurs zur nächtlichen Sternwarte oder den fehlenden Soundtrack futuristischer Drehbücher vorzustellen, die mit Sicherheit in naher Zukunft visualisiert werden.

Denise Schmid

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