Primavera Sound Festival 2017

Das Primavera Sound Festival in Barcelona hat auch in seiner 17. Ausgabe bewiesen, warum es europaweit sowohl bei Fans als auch bei Künstlern einen so guten Ruf besitzt. Die Spanier wissen, wie ein perfekter Mix aus bekannten Indie-Größen und neuen, sehr talentierten Bands auszusehen hat. Dazu gibt es noch allerlei Überraschungen, die sich andere Festivals auf jeden Fall  zu Herzen nehmen sollten. Das Gelände des Primavera legt zwar nicht so großen Wert auf Natur, wie beispielsweise das Roskilde Festival in Dänemark, doch die Veranstalter machen aus dem grauen Betongelände im Parc del Forum, das beste was in ihren Möglichkeiten liegt. So gelingt es zwischen Strand, Amphitheater und einer gigantischen Solaranlage dem Gelände einen gewissen Charme zu verleihen.

Dienstag –  gelungener Einstieg dank besonderer Stadtkonzerte

Doch bevor wir überhaupt das erste Mal zum Gelände konnten, fanden einige grandiose Konzerte im Sala de Apolo in der Innenstadt von Barcelona statt. Wir kamen etwas früher zu den Konzerten, um einen guten Platz zu ergattern und uns die Konzerthalle näher anzusehen. Das, was wir vorfanden lies uns durchaus staunen, denn die Veranstalter hatten einen sehr schickes Venue mit stilvollem Oberrang ausgewählt. Vor Ort trafen wir direkt die Konzertlegende Big Jeff an, der seit 13 Jahren jede Woche auf mindestens 7 Konzerte geht. Er hat dabei zum Beispiel 25-mal Kate Tempest gesehen. Jeff erzählte uns, dass 2017 sein immerhin schon sechstes Primavera Festival ist.  Vor Ort ist Big Jeff auch zu einer richtigen Ikone geworden und wird von jedem gegrüßt und gefeiert.

Mit ihm standen wir an diesem Dienstagabend in der ersten Reihe und konnten bei den Lokalmatadoren Les Sueques ordentlich abrocken. Die drei Spanierinnen lieferten eine Show mit ordentlich Power dahinter ab und waren der perfekte Einstieg ins Festival. Weiter ging es mit den britischen Teenies von Let´s Eat Grandma. Eiskalt und mit viel Esprit begeisterten sie die rund 500 Besucher im Saal.  Ihr Auftritt war zudem perfekt choreographiert, es wurden schon wild die Instrumente getauscht. Der erste Abend wurde von Cigarettes After Sex aus Brooklyn, die ihr Debütalbum vorstellten,  mit ihrem düsteren Indiesound perfekt abgerundet.

Mittwoch – Workshops und Showcases machen Primavera zum Allround-Festival

Das Primavera Sound liefert aber nicht nur gute Musik, sondern auch spannende Workshops und Vorträge. Diese fanden im CCCB unweit der Universität von Barcelona statt. So sprach beispielsweise Chris Carey von Media Insight Consulting über den Brexit und seine Folgen für die Musikindustrie. Nebenbei gab es diverse Showcases von Newcomerbands aus der katalanischen Musikszene. Die Workshops drehten sich vor allem um Themen wie Social Media und Vermarktungsmöglichkeiten für Bands und Startups in der Musikbranche. Es wurde also auch für Bands und Musiker durchaus einiges geboten. Auf dem Primavera wurde konstruktiv diskutiert, wie die Branche nachhaltig weiterentwickelt werden kann und auch bezüglich ihres gesellschaftlichen Einflusses analysiert.

Am gleichen Tag ging es allerdings auch zum ersten mal aufs Gelände. Viele stöberten vor Ort erstmal durch die Plattenläden, die in der Nähe des Eingangs von diversen Labels wie Rough Trade aufgebaut waren. Musikalisch wurde auch an diesem Abend viel geboten. Als wir gerade die Primavera Stage erreichten, strahlte uns die freundliche und zierliche Stimme der Australierin Gordi entgegen, danach sorgten die Local Natives aus Kalifornien für gute Laune. Zudem sprachen sie der jungen Generation Mut zu, um in diesen schweren Zeiten zu bestehen. Die Sunny Boys gaben vor allem einige Hits aus ihrem neuen Album Sunlit Youth zum besten und luden so die Fans zum Tanzen ein.

Im Anschluss folgten Saint Etienne aus London, die auf ein Vierteljahrundert Bühnenerfahrung zurückgreifen können. Mit EU-Flagge als Bühnenbild war schnell klar, worum es den Briten bei ihrer Show ging. Europa, ein Thema das auch gut zu ihrer neuen Platte Home Countries passt. Die Songs des neuen Albums fügten sich nahtlos an Klassiker wie „He’s on The Phone“. Saint Etienne war zugleich auch der Abschluss des zweiten Tages auf dem Primavera. Die sicherlich ausgezeichnete Show von Kate Tempest im Sala de Apolo, war leider zeitlich nicht mehr möglich.

https://www.youtube.com/watch?v=fMO9oLY1VKU

Donnerstag – Die große Überraschung und der geniale Bon Iver

Der quasi erste „richtige“ Festivaltag auf dem Primavera lieferte auch gleich die erste der drei großen Überraschungen. Entdeckung des Tages waren aber zunächst Pinegrove aus New Jersey. Auf einer winzigen Bühne, auf der sich auch eine Karaokeanlage befand, sorgten sie mit ihrem erfrischenden Indierock für den perfekten Start in einen heißen Sommertag am Strand Barcelonas. Weiter ging es zu Kevin Morby an die Hauptbühne,  dessen geniale Musik konnte auf der großen Bühne bei Tageslicht jedoch nicht das volle Potenzial abrufen. Trotzdem war es ein musikalisch angemessener Einstieg auf der großen Center Stages. Wir sind zumindest gespannt auf sein bald erscheinendes Album City Music, denn das Set bestand zur Hälfte aus Songs von seiner neuesten Wunderplatte.

Kurz danach bekamen wir die Info, dass Arcade Fire einen Secret Gig spielen würden – und was das für ein Gig war! So nah waren Fans selten an Arcade Fire dran. Mit einer Wahnsinnsfreude und viel Emotionen stellten Arcade Fire nicht nur seine neue Single Everything Now vor, sondern spielte das nahezu perfekte Arcade Fire-Set. Es reihte sich Hit an Hit und das auf kleiner Bühne. Die Stimmung war großartig und für genau für solche Momente darf das Primavera geliebt werden. Eine spekatuläre Headlinershow gab es im Anschluss von Bon Iver. Wer hätte gedacht, dass er sein Set mit „Skinny Love“ abschließt? Der krönende Abschluss des Tages kam von den verrückten Australiern King Gizzard & Lizard Wizard. Mit ihrem Psychedelic Rock rissen sie das Publikum ziemlich spät in der Nacht vor der Primavera Stage noch einmal ordentlich mit. Zu hören gab es dabei auch den einen oder anderen erfrischenden Song aus ihrer neuen Platte Murder of The Universe.

Freitag – Abrissparty mit Run The Jewels

Am Freitag ging es am späten Nachmittag nach dem Interview mit der israelischen Pop-Künstlerin Noga Erez direkt aufs Gelände. Eigentlich hatten wir schon einen festen Plan, welche Bands wir uns am liebsten ansehen würden. Doch wieder einmal gab es eine kleine Überraschung . Kaum im Pressecamp angekommen, gab es schon die Info, dass die schottische Band Mogwai einen Secret Gig spielen und ihr neues Album Every Country’s Sun komplett performen und vorstellen würde.

Die Post-Rock-Legenden spielten dabei unweit des Strandes auf einer kleinen, aber auch unspektakulären Bühne. Im Nachhinein betrachtet wäre Whitney bei Sonne die bessere Wahl gewesen. Obwohl Mogwai eine grundsätzlich solide Band ist, sollte es an diesem Tag einfach nicht sein. Vielleicht lag es an der unspektakulären Bühne, an den sparsamen Lichteffekten oder am unbekannten Sound des neuen Albums, mehr als ganz nett war der Auftritt leider nicht. Dennoch verdient das Primavera ein Lob dafür, solche Gigs überhaupt möglich zu machen.

Ziemlich stark war hingegen der Auftritt von Sampha, der vor allem für seine Features für den Elektrokünstler SBTRKT bekannt ist. Inzwischen hat er ein eigenes Soloalbum und weiß genau, wie er es auf der Bühne umzusetzen hat. Sein Set lies er mit der schönen Ballade „No One Knows Me Like the Piano“ ausklingen. Nach dem ruhigen Sound des Briten folgte klassischer Punkrock der Descendents. Ihr einstündiges Set begannen die Amerikaner mit dem Satz „Everthing is covfefe“ und brachten für ihr hohes Alter definitiv noch eine gute Punk Show auf einer vom Sonnenuntergang geprägten Bühne. Bei MacDeMarco sahen wir dann auf einmal einen Mond aka den nackten Po des Schlagzeugers.Der Sänger selbst war bis auf Slip nicht mehr bekleidet und zündete seine Achselhaare an. So viel zur nicht nur musikalisch ansprechenden Show von MacDeMarco.

Nach den Nackedeien folgten auf der Hauptbühne gegenüber The XX. Nachdem es bei Bon Iver am Vortag schwierig war, die geniale Show in Mitten von laut schreienden Engländern „Kayne West is in the backstage we know!“ zu genießen, probierten wir es bei The XX mal mit der schönen Tribüne, die den leuchtenden Schriftzug „Created in Barcelona“ trägt. Auch von hier hatten wir eine wunderbare Sicht auf das Konzert der Briten, die dieses Jahr ihr lang ersehntes drittes Album veröffentlicht haben. Die Fans des Primavera Festival bekamen eine gelungene Show, vor allem die neuen Songs fügten sich gut ins Set. Jamie XX mixte ab und an zusätzlich, um den alten Stücken der Band einen neuen Touch zu verleihen.

Für den finalen Abriss sorgten abschließend Run the Jewels. Mit ihrem brachialen Hip Hop legten sie sogar für kurze Zeit die Technik der Bühne lahm. Während der Reparatur lieferten sich Killer Mike und EL-P ein lustiges Tanzduell und hielten die Leute bei Laune. Nach gut zehn Minuten ging es dann weiter mit gewaltigen Beats und sozialkritischen Lyrics. Wer das dritte Album kennt, hätte sich vielleicht den ein oder anderen Featuregast gewünscht, das wäre aber vielleicht auch zu viel des Guten gewesen, wenn auch noch Danny Brown aus dem Nichts erscheint.

Samstag – gelungener Abschluss und noch eine Überraschung

Schneller als gedacht kam dann doch der finale Tag des Primavera Festivals. Mit etwas Wehmut starteten wir früh in den Tag. In der prallen Mittagssonne ging es in eine lange Menschentraube um Karten für eine Special-Show von The Magnetic Fields im Auditori zu bekommen. Vier Stunden später war klar, dass sich das Anstehen gelohnt hatte. Mit einem ganz speziellen Bühnenbild inklusive historisch angehauchter Videoleinwand perfomte Stephen Merritt den zweiten Teil seines Albums 50 Songs Memoir. Mit seinem zynischen Humor brachte er die Besucher im Auditori zum Lachen, die Show war eines der großen Highlights des Primaveras.

Direkt danach erfahren wir vom nächsten Highlight: Haim seien für einen Überraschungsgig in der Stadt. Zunächst versuchten wir aber noch kurz bei Thurston Moore vorbei zu schauen. Dieser spielte in einer Parkgarage und war leider nur mit Extrabändchen zu sehen, welche nur genau zu Beginn von Magnetic Fields erhältlich waren. So mussten wir also zunächst draußen warten, schafften es gegen Mitte der Show aber dennoch hinein. Das Gründungsmitglied von Sonic Youth drischte ordentlich auf seine Gitarre ein, auch wenn wir keine wirkliche Melodie mehr mitbekommen haben, war es schön, ihm in dieser Atmosphäre live zu sehen.

Anschließend ging es zur Folk-Künstlerin Angel Olsen aus Missouri. Ganz in weiß zeigte diese sich mit ihrer Band und durfte auf der großen Bühne im Amphitheater performen. Die Show war auf jeden Fall ordentlich, auch wenn das Publikum leicht abgelenkt schien und der Musik selten folgte. Angel ist definitiv bereit für mehr! Gewohnt gut waren auch die Briten von Metronomy. Eine Setlist zum dahinschmelzen und das nicht nur wegen der Songs aus ihrem Top-Album The English Riviera. 

Gesangslegende Grace Jones tanzte sich durch ihr Publikum und das weit über den Wellenbrecher hinaus. Ihr Sohn an den Drums musste sich ansehen, wie seine 69-Jährige Mutter immer wieder lasziv mit ihrem Hinterteil wackelte. Der Einstieg in die Show war etwas schläfrig, aber wurde im Verlauf immer stärker bis er zu einer regelrechten Konfettiparty wurde. Auch der zweite Auftritt von Arcade Fire war ein Ohren- und Augenschmaus, wobei erst nach Hochfahren der Monitore die volle Performance für alle sichtbar war. Die Kanadier spielten sogar „Neon Bible“ in Barcelona, was immerhin das erste Mal seit 2008 war. Zwischendrin ging es in den Backstage Bereich zu einer kleinen und intimen Show von Algiers. Diese präsentierten dabei schon einige Songs ihres neuen Albums The Underside of Power.

Es folgte die zweite kanadische Band an diesem Abend. Das Duo Japandroids rockte zu später Stunde ordentlich ab und wäre sicherlich ein cooler Festivalabschluss gewesen. Doch nicht so mit dem Primavera. Um 3 Uhr morgens folgten noch Haim, die selten in Europa vor einem derartigen Megapublikum gespielt haben dürften. Sängerin Danielle Haim war erstaunt über die vielen Leute und sprach darüber, dass sie vor einigen Jahren auf dieser Stage im Amphitheater Darkside live gesehen hätte und kaum davon zu träumen wagte, hier selbst einmal zu spielen. Es war eine geniale Show mit tollen neuen Songs, die bewies, warum um die drei Haim-Schwestern so ein Hype entstanden ist. Ein gelungenes Festival wurde durch den Auftritt von Haim so perfekt abgerundet.

Facebook
Homepage

Fotos: Christian Gschwilm

Daniel Guggeis

About author

Daniel Guggeis

2 Comments

Comments are closed.