Das Vainstream Rockfest war auch in diesem Jahr wieder im Vorfeld ausverkauft und beherbergte damit am Samstag, den 30. Juni 16.000 Musikfans. Das Line-Up des mittlerweile fest etablierten Festivals ließ keine Wünsche offen. Es bot entsprechend der Plakatierung Punk-, Metal- und Hardcore-Fans sowohl alteingesessene wie auch neue Bands der Genres. Zusätzliche Ausnahmen aus dem Hip-Hop-Bereich mit Casper wurden ebenso gut vom Publikum aufgenommen. Trotz verschiedener Musikrichtungen gab es an diesem Samstag am Hawerkamp in Münster einige gemeinsame Nenner, die Interpreten und Publikum vereinten: So zum Beispiel die Liebe zur Musik und die sozialkritische Einstellung aufgrund aktueller Geschehnisse.
Vorgeschmack im Skaters Palace
Eigentlich als eintägiges Event ausgelegt begann das Vainstream für Interessierte – wie auch schon in den letzten Jahren – bereits freitags mit der Opening-Party im Skaters Palace. Als Live-Acts waren dafür im Vorfeld First Blood und Crossfaith sowie ein „Secret special guest“ angekündigt. Das Geheimnis darum wurde kurz vorher gelüftet, indem die Veranstalter auf der Vainstream-Facebook-Seite Stick to your guns, die auch auf dem Hauptfestival spielten, anpriesen. Die Kapazitäten dieses schönen Vorgeschmackes waren aufgrund der kleineren Location begrenzt und nur den Festivalbesuchern wurde Einlass gewährt.
Sommer pur: Wasser(trinken), eincremen, Schatten suchen
Blauer Himmel, Sonnenschein und hohe Temperaturen – der Wettergott war dem Festival gütig gestimmt. Doch so ein Traumwetter kann auch anstrengend sein. Damit die Sonne möglichst wenigen einen Strich durch die Rechnung machte, wiesen die Veranstalter immer wieder auf bestimmte Verhaltens-Tipps hin. „Achtung! Bitte achtet auf eure Gesundheit. Trinkt ausreichend Wasser und sucht ab und zu die Schattenplätze auf“, war zwischendurch auf den Leinwänden zu lesen. Trinkwasser wurde dafür kostenlos zur Verfügung gestellt und regelmäßige Wasserfontänen auf das Publikum während der Konzerte sorgten außerdem für Erfrischung.
Das Festivalgelände umfasste neben den doch etwas raren Schattenplätzen, die zwei direkt nebeneinander stehenden Hauptbühnen („Lonsdale Stage“ und „EMP Stage“), eine kleinere Außenbühne („Throwdown Stage“) und die „Green Hell Clubstage“ sowie zahlreiche Essens-, Getränke und Merch-Stände. Außerdem gab es in diesem Jahr eine Zone zum Ausruhen der besonderen Art: der „Coconut Beach“ mit Sand, Palmen und einem Pool zur Abkühlung.
Insgesamt glänzte das Festival wieder einmal mit einer guten Organisation. So wurde der angegebene Spielplan zeitlich sehr gut eingehalten und sorgte für verlässliche Abläufe. Allerdings wurde das Konzept, dass auf der einen Bühne umgebaut wird, während auf der anderen ein Konzert läuft, dieses Jahr vier Mal durchbrochen. So wurde ein nahtloser Wechsel und die kleine Völkerwanderung zwischen den Bühnen verzögert. Während der kleineren Pausen auf den Hauptbühnen konnten Bands auf der „Throwdown Stage“ erlebt werden. Für die am Ende zahlreich unter den Schuhen knirschenden Plastikbecher gibt es jedoch einen Punkteabzug. Mehr Entsorgungsmöglichkeiten oder im noch viel besseren Falle ein Pfandsystem würde der Veranstaltung gut zu Gesicht stehen.
Musik, Musik, Musik
Die erste Band, Stay from the path, spielte bereits am Morgen um 9:45 Uhr. Diese und bekannte Hardcore- und Metal-Bands wie Any given day oder Lionheart lockten viele Besucher schon früh zum Vainstream. Wenn auf anderen Festivals junge lokale Gruppen vor einer Handvoll Leute spielen, geht es bei der Veranstaltung in Münster gleich mit dem Öffnen der Tore so richtig los.
Der frühe Vogel….
So richtig losgehen, das bedeutet in diesem Fall nicht nur die Aktion auf, sondern auch vor der Bühne. Denn die Fans rockten schon früh ordentlich mit. So war die Frage von Bury Tomorrow-Sänger Daniel Winter-Bates, ob das Publikum denn schon müde sei, schnell als Witz zu erkennen, den er mit der Aussage, er sei ja schließlich in Deutschland, als solchen enttarnte. Wie als Beweis dafür forderte er das Publikum zum Springen auf. Der Song „Last light“ untermalte dies. Die britische Metalcore-Band präsentierte außerdem ihr erst vor wenigen Tagen erschienenes neues Album Black Flame.
Fast übergangslos ging es dann auf der rechten Bühne mit Neck Deep weiter, einer Punk-Band, deren musikalische Richtung nicht so ganz nah an der vorangegangenen Band war. Mit einem Micky Maus-Shirt bekleidet, sorgten der Sänger und seine Bandkollegen für ordentliche Stimmung und auch für Bewegung, die nicht nur nach der Ankündigung „This is a fast one, so wake up“ zu dem Song „Don’t wait“ erfolgte.
Aller guten Dinge sind drei
Nachdem Modern life is war auf der „Throwdown-Stage“ gespielt hatten, holten Silverstein die Stimmung wieder zurück zu den Hauptbühnen. Titel wie „Smile in your sleep“, „My heroine“ oder „The afterglow“ kamen bei den Fans und solchen, die es noch werden könnten, gut an. Auch diese Band, deren Namensbestandteil „-stein“ auch schon mal deutsch ausgesprochen werden kann, wie ein Fan auf einem Schild zu verstehen gab, brachte ein neues Album mit. Unter dem Titel Dead Reflection erscheint der Langspieler der Kanadier am 14. Juli. Trotzdem sollten die ersten Tage der Band nicht vergessen sein, bekräftigte Sänger Shane Told. Sie werden immer auch die alten Stücke spielen, wie mit dem Anstimmen des ersten Tracks der ersten Platte Smashed into Pieces unter Beweis gestellt wurde. Zum dritten Mal seien sie nun hier, berichtete Told, dafür wolle man sich bedanken. „This is one of our favourite festivals“, war eine klare Aussage hierzu. Wahrscheinlich wird dies auch nicht ihr letzter Auftritt auf dem Vainstream gewesen sein.
Immer (noch) auf dem harten Weg
Um 13:50 Uhr war es dann Zeit für einen weiteren Top-Act unter den Hardcore-Bands: Terror aus Kalifornien betraten die „Lonsdale Stage“ und ließen es ordentlich krachen. Sänger und Gründungsmitglied Scott Vogel lobte die Security im Konzertgraben, forderte aber das Publikum dazu auf, ihnen etwas Arbeit zu machen. Dazu passten Lieder wie „Always the hard way“ hervorragend. Sogar trotz Wellenbrechern vor der Bühne, welche die Band laut eigener Aussage hasse. Dennoch gebe man sein bestes. Die Fannähe bekräftigte Terror Sänger Scott, der sich außerdem als Stick to your guns-Bewunderer outete, dann auch noch mit der Aussage „We are a rockband, we are as fucked up like you.“ Das erschien – wie die ganze Show – authentisch und sehr passend zum Vainstream.
Dumm aber glücklich?!
Nach einer weiteren Pause auf den großen Bühnen, die mit The Bronx auf der „Throwdown Stage“ überbrückt werden konnte, ging es mit einer deutschen Band weiter. Sondaschule boten Ska-Punk mit deutschen Texten vom Feinsten und heizten die Stimmung ordentlich an. Mit Stücken wie „Durch deine Augen“ oder „Amsterdam“ funktionierte das sehr gut. Tradition pflegten Sondaschule indem sie ein Lied zum Besten gaben, das sie immer auf dem Vainstream gespielt haben: „Dumm aber glücklich“. Bewegung gab es dabei viel im Publikum, das sich auch nicht lange bitten ließ, gegen Nazis zu springen. „Die sind wahrscheinlich nicht einmal hier“, warf Sänger Tim Kleinrensing, alias Costa Cannabis, zu Recht kurz ein. Das tat der Aktion und dem entsprechenden Zeichen aber keinen Abbruch.
Die Politik nicht außer Acht lassen
Auf der linken Bühne ging es dann wieder mit härterer Musik weiter. Die von Terror, wie erwähnt, gelobte Band Stick to your guns begrüßte die Festival-Besucher. Wie schon bei vielen Bands zuvor und im späteren Festival-Verlauf, setzten die US-Amerikaner mit entsprechenden Aussagen deutliche Zeichen gegen ihre derzeitige Regierung. „Let’s keep it political“ hieß es von Sänger Jesse Barnett, der klar machte, dass er und seine Kollegen eine Kunstform gewählt haben, die Kritik äußert. An diesem Samstagnachmittag wies er auf die aktuell in der Kritik stehende Familientrennung von Einwanderern an den US-Grenzen hin. Man solle immer dankbar für das sein, was man habe – so die Message. Dem Stage-Diver im Bananenkostüm wurde trotzdem oder vielleicht auch gerade deshalb musikalisch der passende Wellengang mit Stücken wie „We still believe“, „Amber“, „Against them all“ oder „Doomed by you“ – letzters von der aktuellen Platte True View – beschert.
Die britische Band Asking Alexandria folgte auf der Nachbarbühne. Ihren Metalcore-Sound gaben sie unter anderem mit „Someone somewhere“, „Run free“ und „Into the fire“ zum Besten. Das Publikum wurde neckend mit der Aussage animiert, die Band habe schon öfters auf dieser Bühne gestanden und wisse daher, dass ihnen noch nicht 100 Prozent der Energie gegeben werde. Die Band um Sänger Danny Worsnop, dessen Shirt den Aufdruck „Fuck your sensitivity“ um ein gelbes Smiley trug, bekam diese gewünschten 100 Prozent postwendend zugesprochen.
Auf der Sonnenseite
Touché Amoré, eine amerikanische Gruppe, deren Name diese Herkunft nicht direkt vermuten lässt, spielten um 17 Uhr auf der „Throwdown Stage“. Sonnenverwöhnt auf der kleineren Bühne und damit in einer etwas intimeren Atmosphäre hatte die Post-Hardcore-Formation aus L.A. sichtlich Spaß dabei, hier aufzutreten. Mit „Flowers and You“ vom Album Stage Four beispielsweise zeigten sie ihren gefühlvoll-hart-schmetternden Stil. Ebenso vertreten war bei diesem Auftritt der Song „Green“, der im Frühling als Single veröffentlicht worden war.
Sich bloß nicht zu ernst nehmen
Etwas amüsanter und fröhlicher gingen es Enter Shikari auf der linken Hauptbühne an. Die britischen Herren um den Sänger Roughton „Rou“ Reynolds, der mit seiner Strubbelfrisur und den zuckenden Tanzbewegungen sichtlich auffiel, nahmen sich scheinbar nicht all zu ernst. Und das war auch gut so. Das Publikum hatte viel Freude daran und feierte den ungewöhnlichen Mix aus Hardcore und elektronischen Elementen. Die Darbietung dieser Musik wirkte live purer und natürlicher als aus Audiogeräten abgespielt und überstieg die Erwartungen.
Besonders Hits wie „Sorry, You’re Not a Winner”, das am Anfang zum Mitklatschen geradezu nötigte, trieben die Stimmung der Festivalbesucher hoch. Aber auch Stücke wie „Live Outside“ zeigten die verfügbare musikalische Bandbreite. Die Band bedankte sich dafür, dass alle trotz der Hitze gekommen waren und machte dann Platz für eine Gruppe, die fast schon eine Institution auf dem Vainstream ist.
Von Liebe und Hoffnung in düsteren Zeiten
Boysetsfire standen auch in diesem Jahr wieder auf der Bühne in Münster. Während Sänger Nathan Gray den Bart mit Gitarrtist Chad Istvan getauscht zu haben schien, war musikalisch alles beim Alten: Solide und freudig gaben Boysetsfire mit einem ausführlichen Set viele ihrer Hits zum Besten. Darunter unter anderem die folgenden: „Eviction article”, „Requiem”, „My life in the knife trade”, „Release the dogs”, „Deja coup”, „One Match”, „Empire“ und „After the Eulogy“. Und damit hatten sie mehr als die Rolle eines „Wake-Up-Events“, wie es Sänger Nathan Gray bezeichnete. Sie seien nicht gut darin zwischen den Bands anzuheizen, meinte er. Das Publikum schien da entweder anderer Meinung zu sein und hielt die Band sehr wohl für ein gutes Anwärmprogramm oder – was wahrscheinlicher ist – es gab einfach jeder einzelnen Gruppe den Rang eines Hauptactes. Zumindest wurde Boysetsfire die volle Aufmerksamkeit geschenkt. Diese nutzte Sänger Nathan Gray aber auch, um seine politische Einstellung kundzutun. Sichtlich ergriffen kritisierte auch er die aktuelle Einwanderungspolitik in seiner Heimat. Er wisse zwar, dass die Leute zum Vainstream gekommen seien, um Spaß zu haben. Trotzdem müsse auch Raum für ernste Dinge sein, schließlich lebe man in dunklen Zeiten. Es werde die Angst der Menschen genutzt, um die Taschen anderer zu füllen. Sein Vorschlag, der in den düsteren Gedanken wieder etwas Hoffnung aufflammen lassen soll: Stopp sagen, wenn etwas nicht passt. Und: „Take the power of love and hope out there!” Außerdem bedankte sich Nathan Gray bei den Fans, die neben ihrem Geld, auch ihre Zeit für Konzerte geben und so die Bands und deren Hilfsprojekte unterstützen.
Erleuchtung
Nicht nur mit den klassischen Klängen, die als Intro dienten, stellte Caspar einen Gegensatz zu so manch anderer Band des Vainstreams dar. Der deutsche Rapper war aber mehr als willkommen mit seinem Hip-Hop-Pop-Mix. Er ließ sich ganz schön bitten, bis der Vorhang, auf dem ein Stacheldraht abgebildet war, effektvoll mit Gewummer fiel. Mit leuchtenden Sneakern ausgestattet, sprang er auf die Bühne und performte „Alles ist erleuchtet“. Immer wieder richtet der sichtlich freudige Künstler das Wort an das Publikum. Das leistete ihm gerne Folge, als er darum bat, alle Hände zu sehen. „Das sieht schön aus!“ spiegelte er sogleich zurück. „Ich weiß, dass die meisten eher für andere Musik hier sind.“ Trotzdem freue er sich, da sein zu dürfen und bedankt sich dafür bei den Besuchern. Alle hieß er willkommen, auch die betrunkenen Fußball-Fans unter ihnen. Selbst als ein Metallica-Song angespielt wurde, um dann wieder in den Casper-typischen Sound überzugehen, war das Festival-Publikum entzückt. Songs wie „Hinterland“, „Lang lebe der Tod“ oder „Sirenen“ sorgten dafür.
Neues Album im Gepäck
Mit der folgenden Band war das Vainstream fast an seinem Höhepunkt angekommen. Durch die Musik von Bullet for my Valentine schloss sich der Kreis zu den härteren Klängen wieder. Wie so manch andere an diesem Tag, hatten auch sie eine neue Platte mit im Gepäck. Gravity war am Vortag erschienen, was als wichtiges Ereignis für die Band bezeichnet wurde. Sicherlich hatten die Briten einige Fans auf ihrer Seite, die sie mit einer ausreichenden Portion an Bewegung vor der Bühne bedachten. Insbesondere sehr bekannte Lieder wie „Tears don’t fall“ animierten die Zuschauer zum Mitsingen. In puncto Stimmung auf der Bühne selbst konnten sie aber weder mit ihrem Vorgänger Casper, noch mit den folgenden Musikern, den Beatsteaks, mithalten. Gitarrist und Lead-Sänger Matthew Tuck versteckte sich hinter Sonnenbrille und Lederjacken-Rocker-Outfit und schien dabei eher seinen Job zu machen, als großartig Freude an der Sache zu haben. Der Mann am Bass, Jamie Mathias, der gesangstechnisch für einen Großteil des Backgrounds zuständig ist, legte zumindest etwas mehr Enthusiasmus an den Tag. Musikalisch war das Konzert – inklusive Drum-Solo – solide, blieb aber eben auch ohne große Überraschungen.
https://www.youtube.com/watch?v=Svll1nyQ6cw
Sommerstimmung pur
Die Beatsteaks sind einfach eine Stimmungs-Band, die ihr Handwerk versteht. Alleine schon das Bühnenbild – Palmen und der Bandname in geschwungenen Leucht-Buchstaben – machte Freude. Passend zum tollen Sommerwetter, das dem Festival beschert war, stimmten sie gleich zu Beginn „Summer“ an. Die eher poppig angehauchte Punk-Band aus Berlin kam mit Songs daher, die selbst Nicht-Fans mitträllern konnten, weil sie aus früheren Zeiten noch im Ohr hängen geblieben waren. Die Rede ist – neben den zwei Cover-Songs – von Evergreens wie „Hello Joe”, „Hand in hand“, „I don’t care as long as you sing” oder „Let me in”. Dabei transportieren sie ganz viel Fannähe und schafften es, die Menge nach einem langen Tag auf den Beinen nochmal zum Tanzen zu animieren. „Wie sieht’s mit euren Sprunggelenken aus?“, fragte Sänger Arnim Teutoburg-Weiß und wollte die Antwort wohl weniger hören als sehen, was auch funktionierte. Außerdem holten sie immer wieder Fans zu sich auf die Bühne.
Wer nach dem Hauptact noch nicht genug hatte und sich nicht im wahrsten Sinne des Wortes vom Gelände kehren lassen wollte, der konnte den Tag mit den letzten Bands in der Halle ausklingen lassen. Auf der „Green Hell Clubstage“ spielten zur späteren Stunde noch Iron Reagan und Cro-Mags.
Damit endete ein gelungener Festival-Tag, den sicher viele im nächsten Jahr gerne wiederholen möchten.
Fotos: Stefanie Zerres