Im zwanzigsten Jubiläum der Kompakt-Compilation Total steckt die elektronische Tanzmusik in der tiefsten Krise seit Bestehen. Das Kölner Ausnahmelabel kontert mit einer Platte, die dennoch die besten Releases des letzten Jahres sowie ausgewähltes Neues gekonnt miteinander vereint.
22 Jahre Kompakt, 20 Jahre Total. Grund für eine riesige Feier, die dieses Jahr jedoch auf ein Minimum reduziert werden musste. So hat Kompakt die Kölner Location Stadtgarten in eine Pop-up-Plattenbörse verwandelt, im Outdoorbereich fand die Record-Release-Party statt, mit DJs wie Michael Mayer und Jonathan Kaspar und 150 sitzenden Gästen.
Sicherlich hatte die Pandemie auch einen Einfluss auf die Compilation Total 20, denn auch wenn viele Künstler*innen viel Zeit hatten, Musik zu produzieren, so fühlte es sich doch für einige falsch an, Tracks zu veröffentlichen. Zudem scheuen sich viele davor, ohne Gigs oder Tour Musik zu releasen, die sie so promoten können. Und warum Tanzmusik veröffentlichen, wenn niemand tanzen gehen kann? Ein Dilemma.
Ein bisschen Disco, ein bisschen Garage, ganz viel House und Techno
Trotzdem hat es Kurator und Labelboss Michael Mayer geschafft, eine Platte mit 22 Tracks zusammenzustellen – ohne dabei den Blick für die richtige Balance zu verlieren. Es fängt wie gewohnt etwas ruhiger an, mit dem Hallenser Robag Wruhme und „Calma Calma“, einem sphärischen Durchhaltetrack mit starken Spoken-Word-Einlagen. Ebenfalls stark: „Hello Echo“, Discosound aus London von Kiwi, mit halligen Frauenvocals, Jazzvibes und keineswegs plattem Ohrwurmfaktor. Genauso stark, aber ganz anders ist „Atze“ des Berliner Langzeit-Kompakt-Künstlers Sascha Funke – ein Stück Dub-Techno auf der Platte.
Die Italiener Agents Of Time („Drive Me Crazy“), Michael Mayer („Higher“) und der Belgier Kölsch („Remind You“) schrauben den Tanzfaktor dann mit unverwechselbaren Nummern nach oben. Das Ganze gipfelt dann in Technotracks: Mal geradlinig aus Tel Aviv von Yotam Avni („It Was What It Was“), mal melodisch mit einem ordentlichen Zacken Ironie aus Brasilien und Frankreich von Anna und Kittin („Forever Ravers“), und mal brachial aus Neapel von Blackrachas („Giorno di Pioggia“).
Insgesamt zwei Tracks von drei Frauen – damit befindet sich das Label wohl im Mittelfeld. Das Schöne an den Total-Compilations (und dem Label Kompakt) ist immer wieder, dass sie – allen Trends zum Trotz – kaum poppig-kitschig sind. Vieles hat einen düsteren, entfremdeten Touch, der vor allem durch verzerrte Stimmen, Hall und den Bruch mit Harmoniestrukturen entsteht. Dabei ist ein 4/4-Beat zwischen Techno und House gerne gesehen, aber mitnichten ein Muss. Wunderbar zu sehen, wie unter einer gemeinsamen Idee so unterschiedliche, hochwertige und internationale Musik entstehen kann.
Total 20 von Kompakt erschien am 28. August 2020 und kann hier bestellt werden.